28. Dezember 2018
Umgang mit Leben und Tod
Der von Dr. Petermann in der NZZ publizierte Artikel schreitet den Problemkreis der Fragen aus, welchen dem Arzt begegnen, wenn er bereit ist Menschen die sterben wollen, beim Suizid Hilfe zu leisten. Das ist nach geltendem Recht nicht verboten. Auf Gesetzes- und Verordnungsebene ist die Lage aber nicht so klar. Eine präzis formulierte Gesetzesänderung muss her. Hierfür kämpft ERAS seit mehr als drei Jahre. Weder Ethik- noch Standesorganisationen dürfen die Freiheit des Arztes beschränken.
Die Ärzte
und die Suizidhilfe
Gastkommentar
von Dr. FRANK TH. PETERMANN
Die Ärztekammer der FMH hat die Richtlinien
«Umgang mit Sterben und Tod» der Schweizerischen
Akademie der Medizinischen Wissenschaften
(SAMW) nicht als Standesrecht der FMH
übernommen. Dazu darf festgestellt werden, dass
bisher weder SAMW noch FMH verstanden
haben, worum es eigentlich geht.
Verleitung und Beihilfe zum Suizid sind hierzulande
kein Delikt, solange jemand nicht aus selbstsüchtigen
Beweggründen handelt. Jeder darf
einem anderen, dem es nicht an Urteilsfähigkeit
mangelt und der beschlossen hat, sein eigenes Leben
zu beenden, dazu geeignete Mittel aushändigen
und ihn auch instruieren, wie diese zu handhaben
sind. Basis sind die EMRK und die Bundesverfassung.
Dazu ist am 3. 11. 2006 ein Urteil des
Bundesgerichtes ergangen. Dessen zentraler Satz
lautet: «Zum Selbstbestimmungsrecht im Sinne
von Art. 8 Ziff. 1 EMRK gehört auch das Recht,
über Art und Zeitpunkt der Beendigung des eigenen
Lebens zu entscheiden; dies zumindest, soweit
der Betroffene in der Lage ist, seinen entsprechenden
Willen frei zu bilden und danach zu handeln.»
Somit hat der urteilsfähige Mensch das Recht,
selbst über Art und Zeitpunkt seines eigenen
Lebensendes zu bestimmen. 2011 hat dies der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
(EGMR) in Strassburg bestätigt: «Im Lichte dieser
Rechtsprechung hält der Gerichtshof dafür,
dass das Recht eines Individuums, zu entscheiden,
auf welche Weise und in welchem Zeitpunkt sein
Leben enden soll, sofern es in der Lage ist, seine
diesbezügliche Meinung frei zu bilden und dem
entsprechend zu handeln, einen der Aspekte des
Rechts auf Achtung des Privatlebens im Sinne von
Artikel 8 der Konvention darstellt.»
Bedingungen für Menschenrechte können nur
in der dafür zuständigen Menschenrechtsnorm
selbst aufgestellt werden. Fehlen solche, hat niemand
die Befugnis, dazu einschränkende Bedingungen
zu verfügen. Als die SAMW 2004 ihre
«Medizin-ethischen Richtlinien zur Betreuung von
Patientinnen und Patienten am Lebensende» erliess,
gab es die beiden vorstehend zitierten Gerichtsurteile
noch nicht. Sie überschätzte ihre Befugnisse.
Aus dem in ihren damaligen Richtlinien
stehenden Satz «Entschliesst er (der Arzt) sich zu
einer Beihilfe zum Suizid, trägt er die Verantwortung
für die Prüfung der folgenden Voraussetzungen:
Die Erkrankung des Patienten rechtfertigt die
Annahme, dass das Lebensende nahe ist. (…)» ergab
sich für die SAMW (und weite Kreise der
Öffentlichkeit) die irrige Annahme, einem Arzt sei
dadurch die Beihilfe zum Suizid verboten, wenn
das Lebensende der betreffenden Person nicht
nahe sei. Die SAMW selbst hatte jedoch schon bei
der Festlegung des Geltungsbereichs der Richtlinien
erklärt: «Die Richtlinien betreffen die Betreuung
von Patienten am Lebensende.» Es bedurfte
erst einer Reihe von Gerichtsurteilen, bis
die FMH und die SAMW ihren Irrtum begriffen.
Wird ein Arzt von einer urteilsfähigen Person
um Beihilfe zum Suizid gebeten, dürfte er dieser,
ohne Schwierigkeiten erwarten zu müssen, seine
Pistole samt Munition übergeben und ihn in deren
Handhabung instruieren. Da dies aber keine
sichere Suizidmethode darstellt, ist es zweifellos
erstrebenswerter und humaner, dem Patienten
Natrium-Pentobarbital (NaP) in ausreichender
Dosierung zu verschreiben und ihn über dessen
Handhabung sorgfältig zu instruieren.
Weder Ethik- noch Ärzteorganisationen dürfen
die Freiheit des Arztes, Suizidhilfe zu leisten, beschränken.
Sie haben sich auf ethische Fragen zu
konzentrieren. Zu den Gründen, die den Arzt zum
Entschluss geführt haben, einem Menschen so zu
helfen, haben sie nichts zu sagen. Im freiheitlichen
Rechtsstaat darf die Freiheit immer nur dann eingeschränkt
werden, wenn dazu rationale, auf Evidenz
basierte und weltanschaulich neutrale Gründe
bestehen – was für diese Richtlinien nicht zutrifft.
Niemand hat das Recht, weltanschauliche Positionen
von Minderheitsgruppen der Mehrheit zu
oktroyieren. Die Devise für SAMW und FMH muss
deshalb lauten: Schuster, bleibt bei euren Leisten!
Frank Th. Petermann ist Rechtsanwalt und Präsident
der Vereinigung der Schweizer Medizinalrechtsanwälte
(SMLA); er berät verschiedene Akteure des Gesundheitswesens,
darunter auch Suizidhilfe-Organisationen
NZZ, 20181204 Seite 10
Weder Ethik- noch
Ärzteorganisationen dürfen
die Freiheit des Arztes,
Suizidhilfe zu leisten,
beschränken. Sie haben
sich auf ethische Fragen
zu konzentrieren.
Leserbrief NZZ vom 14. Dezember 2018
Die Ärzte und die Suizidhilfe
Frank Th. Petermann beschreibt die Situation aus juristischer Sicht genau und richtig (NZZ 4. 12. 18). Gerne möchte ich aus praktischer hausärztlicher Sicht, erlebt in konkreten Situationen, seine Thesen untermauern. Beispiel 1: Eine Frau leidet an einem Unterleibskrebs, der mehrfach operiert und mit Cytostatika behandelt wurde. Er ist unheilbar und führt zu Darmverschlüssen. Schon früh nachdem die Diagnose gestellt wurde, erkläre ich ihr,dassich ihr bei Bedarf auch am Ende des Lebens helfen könne.Mehrfach im Verlaufe der Krankheit dankt sie mir für die Sicherheit, die ich ihr mit meinemVersprechen gegeben habe.Am Schluss nimmt sie meine Hilfe in Anspruch, ich verschreibe ihr das Natriumpentothal und bin mit dem Ehemann bei ihrem ruhigen Ableben dabei. Beispiel 2: Ein ungemein sportlicher, frisch pensionierter Mann erhält die Diagnose Mundkrebs. Er ist ein Freund vonmir und weiss viel aus dem Internet.Vor allem beängstigen ihn natürlich die schlimmen Verläufe. Im zweiten Gespräch versichere ich ihm, dass ich ihm auch im schlechtesten Fall helfen könne. Tags darauf besucht er mich, umarmt mich und sagt mir, er habe wegen dieser Zusage das erste Mal seit der Diagnosestellung schlafen können. Er meistert den schweren Krankheitsverlauf bewundernswert. Seine Frau und die Kinder sind über unsere Abmachung informiert und unterstützen sie. Beispiel 3: Ein Mann, Techniker, leidet unter einer asbestbedingten Lungenerkrankung, die nicht heilbar ist.Ich bespreche die Situation mit ihm und seiner Frau. Früh gebe ich ihm das Natriumpentothal, das er sich wünscht und in seinem Zimmer aufbewahrt und letztlich nicht anwendet. Seine Frau bringt es mir zurück. Es ist jetzt meine Notreserve. Die drei Beispiele sollen zeigen, dass nicht nur soziologische, theologische und juristische Aspekte eine Rolle spielen dürfen. Eigentlich ist es gar nicht so schwierig: Das Hauptmerkmal des Lebens ist, dass wir sterben, und es gilt, dieses Bewusstsein und den Umgang damit wieder viel mehr ins Leben zu integrieren.Nicht nur ein ehrenvolles Leben zu führen, sollte unser Streben sein, auch ein würdevolles Sterben wünschen wir uns alle. Und dazu kann die Sterbehilfe beitragen. Es ist übrigens erst zwei Generationen her, dass wir uns dem Tod entfremdet haben und ihn nicht mehr zu Hause erleben.
Kurt Kaspar, Fislisbach
ehemaliger Hausarzt
NZZ 20181214 Seite 9 unter Zuschriften